Natalie Bosien
BiographieAktuellesKontakt
Zurück
Natalie Bosien - Portrait


K U R Z G E S C H I C H T E

Gesunkene Stunden
gesunkene stunden

"Weiß ich nicht. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Es war einfach nur schrecklich und völlig zusammenhanglos."

"Mein armer Schatz..." sagt sie und drückt mir einen Kuß auf die Wange.

"Ich bin froh, daß du wieder da bist." Schweigend gehen wir weiter. Von irgendwo her hört man das Rauschen einer Autobahn. Ein leichter Wind läßt die fallenden Blätter schaukelnd durch die Luft tanzen und Sybille hakt den Daumen wieder in Position.

Endlich zuhause komme ich mir vor wie ein kleines Kind am heiligen Abend. Lauter Geschenke. Rasierwasser. Marken-Sonnenbrillen, die in den USA so viel billiger sind. Pullover, Sweatshirts mit aufgedruckten Collegenamen, aus hundertprozentiger Baumwolle, die aber im Trockner nicht einlaufen (die deutschen laufen immer ein, sagt Sybille). Ich beobachte sie, sage immer wieder 'danke', 'danke' und denke an Mary Poppins, wie sie immer immer mehr aus ihrer Tasche zaubert, die doch eigentlich längst leer sein müßte. Es nimmt kein Ende. Danke, danke, danke, Sybille. Mir liegt auf der Zunge, zu fragen, wann sie gearbeitet hat, bei all den getätigten Käufen, aber ich verkneife es mir. Undankbar, ja, es wäre undankbar, schließlich weisen all die Gabe eindeutig darauf hin, daß sie viel an mich gedacht haben muß. Irgendwie.

Sie fragt mich, warum ich den Abwasch nicht gemacht habe. Der wunderbare Teller-Tassen-Turm räckelt sich im Spülbecken und die Fettaugen starren blind aus dem pastellbraunen Wasser an die Zimmerdecke. "Ich hatte keine Zeit", sage ich schulterzuckend. "Keine Zeit." sagt Sybille, mich keines Blickes würdigend, "es ist immer wieder schön zu sehen, wofür du Zeit hast und wofür nicht." Sie zerstört ohne ein weiteres Wort den Turm, füllt das Spülbecken mit heißem Wasser, zieht die gelben Gummihandschuhe an und beginnt zu spülen. Ich schaue zu Boden und fühle mich schuldig. Ich das kleine Kind, dem der Mary-Poppins-Weihnachtsmann gerade so viele Gaben gab. Hätte er nicht vorher wissen müssen, daß ich ungezogen war und keine Gaben verdiene? "Ich habe dir auch etwas gekauft." sage ich, nehme das Handtuch und einen Teller und schaue Sybille mit einem 'laß-uns-Frieden-schließen-Lächeln' an. "Den großen bunten Regenschirm, den du letztens so schön fandest. Den, unter den zwei passen...", füge ich hinzu. Sie steht einen Augenblick still vor dem Spülbecken, die gelben Gummi Handschuh Hände auf dem Spülbecken abgestützt sieht sie zu mir auf und zischt: "Es wäre mir lieber gewesen, du hättest gespült." Ich trockne schweigend weiter ab und baue einen geordneten Turm trockener Teller und staple je zwei trockene Tassen ineinander, bevor ich alles in den Schrank räume. Wir schweigen. Sie zieht die Handschuhe aus und legt den Schwamm auf die rechte Seite des Spülbeckens. Nun ist alles wieder sauber.

weiter

DESIGNED AND PRODUCED BY SNOOPMEDIA