Natalie Bosien
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Natalie Bosien - Portrait


K U R Z G E S C H I C H T E

Gesunkene Stunden
gesunkene stunden

Ich wache auf. Es ist Freitag, sechs Uhr früh. Der Wecker piepst aufgeregt, immer schneller, und mir steigt Panik in den Bauch. Was habe ich vergessen? Schon zu spät? Den Wecker aus. Ich springe ich unter die Dusche und versuche wach zu werden. Langsam kommt alles wieder zurück. Ich werde ruhiger. Der Kaffee ist heiß. Viel zu heiß. Die Milch gerinnt und ich schütte die Tasse aus, die milchig braune Brühe rinnt dampfend über den Turm von dreckigem Geschirr, hinab in die Tiefe der Kanalisation. Kleine braune Seen erkalten in den Vertiefungen der Tellerböden. Ich drehe den Wasserhahn auf und frisches klares Naß regnet die Kaffeespuren davon. Mein Kopf schmerzt. Die große Dose Schmerztabletten, die Sybille aus den Staaten mitgebracht hatte ist fast leer. Fast. Vielleicht bringt sie heute eine neue mit.

Sybille. Ich habe aufgehört die Tage zu zählen, die sie fort war. Für eine Woche sollte sie an die Ostküste. Einer dieser Workshops, der den Teilnehmern vermitteln würde, wie.... Danach gemeinsamer Urlaub in Österreich. Gemeinsam. Ich fuhr allein, wanderte die Berge hinauf und hinunter und wieder hinauf und wieder hinunter. Bis ich nicht mehr laufen konnte. Es half nicht. Die Sehnsucht blieb. Die Wut blieb. Die Hilflosigkeit ließ sich nicht abschütteln. Alles wanderte mit. Die Berge hinauf und die Berge hinunter. Wie immer. Verfolgt vom eigenen Echo.

Die Maschine hat Verspätung. Ich warte. Wie immer. Sie kommt und umarmt mich. Wie immer. "Schön dich zu sehen." "Schön dich zu sehen." Sie lacht. Wie immer. Es ist Sybilles Lachen, ein einmaliges Lachen, das es auf dieser Welt kein zweites Mal gibt und das alle Schmerzen vergehen läßt. Für einen Augenblick.

Wir gehen die langen futuristischen Gänge hinunter. Die farbigen Lichter erzeugen gewollte Emotionen in unbewußten Tiefen und ich nehme Sybille in den Arm. Die Bremsen des Gepäckwagens bringen uns abrupt zum Stehen. "Eins nach dem anderen." sagt sie und lacht wieder. "Laß uns erst die Koffer..." mit einem Kuß beende ich ihren Satz und schiebe dann wieder den Gepäckwagen. Mit beiden Händen. Erst die Koffer. "Wir könnten einen Spaziergang im Park machen." sagt sie und ihre Hand ruht auf meinem Rücken. "Bist du nicht müde?" frage ich. "Nein. Ich habe im Flieger geschlafen." Erst die Koffer. Dann der Park. Dann das Bett. Ich liebe Sybille für ihr Lachen - und für ihre strukturierte Organisation...

Der Park ist gezeichnet von herbstlicher Stimmung. Es ist ein warmer Herbsttag und die Blätter leuchten in der Sonne um die Wette. Ich halte Sybille im Arm und sie hat ihren Daumen in eine Gürtelschlaufe meiner Hose eingehakt. Zwei Kinder laufen an uns vorbei. Sie lächelt und legt ihren Kopf auf meine Schulter. Meine Lippen berühren ihr Haar und ich ziehe ihren Körper näher an mich heran. Will ihn in mich hineinziehen, aber es geht nicht. Also atme ich sie ein. Ein tiefer Atemzug mit geschlossenen Augen.

"Ich hatte letzte Nacht einen schrecklichen Traum."

"Was hast du geträumt?"

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